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Ich Tartan, du Jane.

Samstag morgen, 8:20 Uhr: Ich stehe auf einer Tartanbahn in Leinfelden. Jene Tartanbahn, auf der der Hand-in-Hand-Spendenlauf ausgetragen wird und von der ich zum ersten Mal hörte als mich Stefan 2016 fragte, ob ich Bock hätte, dort zu starten. Damals hatte ich leider kein Zeit. Dann hörte ich im September 2016 schon wieder von dem Lauf als Fat Boy René mit Julia darüber im Podcast redete. Und so entschloss ich mich, dieses Jahr mitzumachen.

Mein Laufjahr 2017 ist bislang irgendwie ein komisches. Die wenigen Wettkämpfe, die ich bestreiten wollte, waren nicht wirklich geil: In Rodgau nach 40 von 50 Kilometern ausgestiegen, beim Marathon im Februar krankheitsbedingt gar nicht angetreten, den Hermannslauf auch nicht so schnell wie erhofft gelaufen und für die 100 Kilometer an der Zugspitze so wenig trainiert, dass ich es nicht gewagt habe, diese Distanz anzugehen. Dazu seltsame Muskelbeschwerden und allgemeine Unlust. Auf der Habenseite habe ich hingegen ein einen guten Trailmarathon in Lichtenstein (warum gibt’s dazu eigentlich keinen Text?), ein paar tolle Lauferlebnisse aus dem Urlaub im Trentin und einen soliden Supertrail an der Zugspitze. Außerdem bin ich wie geplant auf Kurs Richtung 3.000 Jahreskilometer unterwegs.

Was mich in Leinfelden erwarten sollte, wusste ich aber absolut nicht. In meiner gesamten Läufer“karriere“ bin ich vielleicht 10 Kilometer auf Tartan gelaufen. Und seit ich fast nur noch Trails und ordentlich Höhenmeter laufe, ist dieses Rennen ohne (Geh)pausen ohnehin nicht mehr so ganz meins. Außerdem hatte ich in Rodgau nach acht von zehn Runden Feierabend gemacht, weil mich das Laufen auf der immer gleichen Runde entnervt hatte. Auf einer 5 Kilometer langen Runde wohlgemerkt. Und an einem 12-Stundenlauf hatte ich sowieso noch nie teilgenommen.

Deswegen hatte ich mir auch absolut kein Ziel gesetzt, welche Distanz ich laufen wollte. Denn ich konnte nicht ausschließen, nach 25 Runden entnervt und mit einem Drehwurm das Rennen zu beenden. Andererseits hatte ich den ganzen Tag frei und in meiner Idealvorstellung wollte ich ihn mit 1/3 Laufen, 1/3 in der Sonne liegen und 1/3 essen und trinken verbringen. Und so falsch lag ich damit gar nicht.

Das Reglement beim Spendenlauf: Start um 8:00. Zielschluss um 20:00. Wer in den zwölf Stunden dazwischen die meisten Runden absolviert, gewinnt. Wobei: der Gewinner des Laufs steht schon am Start fest: Das Kinder- und Jugendhospiz Stuttgart, für das Spenden gesammelt werden. Und man merkt das dem Lauf auch an: Es gibt Läufer, Walker, Spaziergänger, Kinderwagen, Hunde mit Startnummern und viele Kinder. Aber wer laufen möchte, kann dies ohne große Störungen machen: Die zwei Innenbahnen sind den schnelleren Läufern vorbehalten.

Wir starteten gegen 8:30. „Wir“, das war neben mir noch Claudi, Patentante meines Sohnes und seit ewigen Zeiten Running Buddy in crime. Und auch wenn sie mittlerweile schneller und weiter (und das auch noch gleichzeitig!) als ich läuft, ist sie für schräge Laufprojekte jeder Art schnell zu begeistern.

Und so ging es also los auf diesem wunderbar weichen und federnden Tartan, mit dem wir in den nächsten knapp 12 Stunden eine Art Symbiose eingehen sollten. Die ersten 10 Kilometer diskutierten wir über die perfekte Taktik: Pausen machen oder nicht. Wenn ja, wann? Und wie lang? Irgendwann liefen wir ein paar Runden mit Stefan, der uns in sein Team eingeladen hatte, und der ein Tempo abspulte, das um einiges schneller war als unsere geplanten 6:00 Min./km. Aber egal: Wenn es läuft, dann läuft es.

Nach der Halbmarathonmarke machten wir die ersten längere Pause. Und stellten fest, dass wir im Live-Leaderboard relativ weit oben waren. Denn viele drehten nur ein paar Runden oder spazierten ihre Strecke. Ich für meinen Teil stellte auch relativ bald fest, dass das Im-Kreis-Rennen alles andere als langweilig war. Denn ständig kamen neue Leute dazu oder verabschiedeten sich. Es spielten Bands und man konnte sich wunderbar unterhalten. Die Kilometer vergingen wie im Flug. Noch …

Das erste Mal etwas zäher wurde es traditionell für mich um Kilometer 30 herum. Also kurze Pause machen, etwas trinken und weiter. Wirklich genau mein Ding. Also die Pausen meine ich. Das nächste Paket liefen wir bis zu Marathonmarke und mit der 108. Runde wurden wir offiziell zu Tartan-Ultras. Ein tolles Gefühl. Nach dem Erreichen der Marathonmarke war auch die bis dahin führende Dame ausgestiegen, was Claudi auf einmal zur Führenden machte. Und ich war irgendwie zweiter bei den Herren, allerdings mit großem Abstand. Der spätere Sieger lief bzw. ging nahezu die gesamten 12 Stunden durch und hatte am Ende 93 Kilometer auf der Uhr.

Der Rest ist schnell erzählt: Wer den Marathon in der Tasche hat, will auch die 50k packen. Und wenn man 50k erreicht hat, aber noch 5h übrig sind, läuft man natürlich weiter. Nach 55 Kilometern wollte ich unbedingt ein alkoholfreies Weizen trinken. Gab es aber nicht mehr. Mir blieb also keine andere Wahl:

Mit 55 Kilometer in den Beinen und 0,5 Liter Bier im Kopf war dann auch das nächste Ziel klar: Weiter zu laufen als ich es je getan hatte. Denn mehr als die 62,8 Kilometer des Zugspitz Supertrails hatte ich noch nie bewältigt. Also knackte ich erst die 60er Marke, aß in Ruhe eine rote Wurst und durchbrach dann meine persönliche Schallmauer von 63 Kilometern. Das muss so gegen 18 Uhr gewesen sein. Noch reichlich Zeit also, um noch ein paar Runden zu laufen bzw. zu gehen, denn ganz so easy war das alles nicht mehr. Erstaunlich, wie verdammt lang 400 Meter sein können.

Zugegeben: Die Kilometer von 65 bis 70 waren eine ziemliche Quälerei. Mehr als vier Minuten für 400 Meter waren keine Seltenheit sagt Strava. Und als es dann geschafft war und ich aufhören wollte? Da ging es auf einmal wieder und ich lief meine schnellste Rundes des gesamten Tages – mit 70 Kilometern in den Beinen. Alles Kopfsache.

Am Ende waren es 72 Kilometer auf der Uhr und offiziell 71,2 Kilometer bzw. 178 Runden und Platz zwei bei den Herren. Claudi schaffte unfassbare 200 Runden und zerstörte mit 80 Kilometern die Damen“konkurrenz“.


Was bleibt außer einem kleinen Sonnenbrand?

Natürlich ein Muskelkater, der dank der langsamen Pace und des weichen Tartans aber so dezent war, dass ich am Sonntag schon wieder ein paar lockere Kilometer in den Weinbergen laufen konnte. Aber vor allem das gute Gefühl, endlich mal wieder die eigene Grenzen überschritten zu haben. Zum ersten Mal über 70 Kilometer! Fast genau so schön für mich: Das Wissen, dass mein Körper das so gut wegsteckt: Ich bin 8 Stunden gelaufen und hatte anschließend keinerlei Gelenkschmerzen, keine Blasen, keine Druck- oder Scheuerstellen. Einfach gar nichts. Und das ohne irgendwelche Einreib- oder Abklebprophylaxe. Verdammt, ich hatte mir nicht mal die Fußnägel geschnitten. My body is a wonderland.

Ebenso so schön wie die persönliche Bestätigung war aber der ganze Tag. Was kann es denn besseres geben, als in einem tollen Leauf-Team bei bestem Wetter (auch die angekündigte Gewitter kamen nicht) für den guten Zweck zu laufen? Nächstes Jahr auf jeden Fall wieder, wenn es sich irgendwie einrichten lässt. Und dann gibt es in Stuttgart-Degerloch ja auch noch den 24h-Lauf für Kinderrechte. Auf der Bahn versteht sich.

Hier der Strava-Track. Wieso die Ambit auf 1.000 Höhenmeter kommt, bleibt ihr Geheimnis.

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