Berichte

PAGT 16: Expect the unexpected.

„Bier aus der Dose,
Pommes aus zu altem Fett
So fühlt sich das Leben an
außerhalb von Tisch und Bett“

Als ich am vergangenen Sonntag Nachmittag wieder nach Hause komme, habe ich schmerzende Beine, ein seliges Lächeln im Gesicht, schmutzige Füße und ein Bändchen am Arm. Klare Diagnose: Festivalbesucher. Aber halt! Der Typ ist doch eigentlich zu alt dafür, oder? Und in der Tat: Ich habe seit vier Jahren kein Festival mehr besucht. Schwere Beine und Dreck unter den Zehennägeln hole ich mir mittlerweile auf den Trails. Am letzten Wochenende lagen diese in den Tiroler Alpen, genauer gesagt im schönen Pitztal. Doch diesmal war irgendwie alles anders.

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Vorgeschichte:
Ursprünglich hatte ich drei Läufe auf dem Schirm, um mir die drei UTMB-Qualifikationspunkte zu erlaufen, die ich theoretisch noch benötige, um in die Verlosung für den CCC 2017 gehen zu können: Hartfüsslertrail, Pfalztrail, Trail Haut Koenigsbourg. Leider fielen alle Termine der Urlaubs-, Umzugs- und Arbeitsplanung zum Opfer. Mal ganz abgesehen davon, dass ich für den Zugspitz Supertrail wohl ohnehin keine vier UTMB-Punkte bekomme. War also Chamo-nix.

Aber dieses erste Augustwochenende sei doch noch frei, meinte meine Frau. Also schnell den Rennkalender gecheckt: AlpenX: Auch auf den „kurzen“ Strecken mindestens 5 Nummern zu groß. T41 beim Iron Trail? Warum nicht. 130 CHF Anmeldegebühr? Dann lieber doch nicht.

„Wir machen ’ne Wiese aus dem grauen Asphalt
Raus in den Sommer, es wird früh genug kalt.“

Aber war da nicht noch diese Veranstaltung im Pitztal? Tatsächlich. Und wo ist dieses Pitztal überhaupt? Nur 320 Kilometer von Stuttgart? Und schon war ich angemeldet. Neben den langen Distanzen über 85 und 100 Kilometer waren gleich zwei Marathonstrecken im Angebot: Einmal mit 2.400 und einmal mit 3.000 Höhenmetern. Das besondere an der zweiten Variante ist dabei die Querung des Pitztaler Gletschers. Das wollte ich mir nicht entgehen lassen. Also erweiterte ich meine Pflichtausrüstung nicht nur um eine Regenhose, sondern auch um Spikes.

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Seit dem Supertrail hatte ich nur mäßig trainiert und keinen Lauf über 25 Kilometer gemacht. Aber 3.000 Höhenmeter hatte ich an der Zugspitze schließlich auch geschafft und 42 km sind ja „nur“ ein Marathon. Was sollte da schon schiefgehen? Vor allem, wenn die Zielgruppe auf der Website so beschrieben wird:

„Trainierte Läufer mit Marathonerfahrung, ambitionierte Halbmarathon-Finisher, Bergläufer, Langdistanz-Triathleten, Ultralauf-Einsteiger“

Klang mehr nach einer lockeren Joggingrunde in den Bergen. Ich fragte deshalb lieber nochmal nach bei Läufern, die die Strecke kennen. Und die Einschätzungen von Sarah, Robert und Frank klangen dann auch schon ganz anders. Viel mehr nach Abenteuer. Nach jeder Menge Abenteuer!

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Und je näher das erste Augustwochenende rückte, desto klarer wurde mir, dass das Ding eine echte Herausforderung werden würde: Der brutale Anstieg gleich vom Start weg mit 1.400 Höhenmetern auf nur 6 Kilometern. Die Höhe von mehr als 3.000 Metern, auf ich zuvor noch nie gewesen war. Die Gletscherquerung. Die technischen Trails. Und vor allem: Der Start um 5 Uhr morgens. Kurz gesagt: Ich hatte etwas Bammel. Und gleichzeitig richtig Bock darauf, mich den Herausforderung zu stellen.

„Reisst euch von der Arbeit los,
bringt die Kinder zu den Eltern.“

Da sich leider niemand der üblichen Verdächtigen fand, fuhr ich am vergangenen Freitag alleine ins Pitztal. Auch anders als sonst. Die Wetterprognose sagte einen ziemlich verregneten Freitag vor, gefolgt von einem perfekten Laufsamstag. Doch schon bei der Anfahrt am Freitag im Dauerregen beschlich mich so ein Gefühl, dass die sintflutartigen Regenfälle auch Auswirkungen auf das Rennwochenende haben sollten. „Überschwemmungen und Neuschnee bis auf 2.000 Meter“ hieß es im Radio. Keine guten Voraussetzungen, wenn man auf den Mitagskogel mit knapp über 3.000 Meter laufen will. Und in der Tat erreichte mich noch während der Fahrt eine Mail des Veranstalters Laufwerkstatt: Aufgrund des schlechten Wetters wurden beide Marathonstrecken zusammengelegt und es wurde „nur“ die Rifflsee-Variante gelaufen. Kein brutaler Anstieg, kein 3.000er, kein Gletscher. Kurzum: Alle Herausforderungen gestrichen. Enttäuschung.

Nachdem ich beim Briefing in Mandarfen die Fotos von der Strecke sah, die wenige Stunden zuvor gemacht worden waren, war schnell klar: Richtige Entscheidung. Niemand will und kann sich durch 20 Zentimeter Neuschnee da hoch kämpfen. Angenehmer Nebeneffekt: Startzeit am Samstag: 9 Uhr statt 5 Uhr. Also damit konnte ich gut leben. Angenehmer Nebeneffekt, Teil 2: Beim Briefing lernte ich auch endlich mal Maty, Ulf und Robert persönlich kennen! Allein dafür hat sich die Fahrt ins Pitztal schon gelohnt.

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„Um wirklich cool zu sein, sind wir viel zu alt.
Raus in den Sommer, es wird früh genug kalt.“

So kam ich am Samstag noch in den Genuss eines Frühstücks, bevor ich von St. Leonhard nach Mandarfen fuhr. Dort angekommen, stellte ich das Auto ab, ging zum Startbereich und wartete nervös auf den Startschuss, der um Punkt 9 erfolgte. Eigentlich hätten dann über 1.400 Höhenmeter auf uns gewartet. In der Schlechtwetter-Variante waren es „nur“ gut 600. Und darüber war ich sehr froh darüber. Und schnell merkte ich auch hier wieder, dass ich mich gut in einen solche Anstieg „reinarbeiten“ kann. Dachte ich zu Beginn noch: „Was eine Scheiße!“, wurde es mit jedem Höhenmeter besser. Am Ende des Anstiegs wartete nicht nur der VP auf der Sunna-Alm, sondern auch der grandiose Anblick des Rifflsees auf gut 2.200 Metern. Kurz vor der VP traf ich dann noch Anja, die ich in Lichtenstein kennengelernt hatte. Gemeinsam liefen wir am Rifflsee vorbei und arbeiteten uns bis zum Fuldaer Höhenweg, wo der erste Downhill folgte. Dort musste ich sie ziehen lassen. Mittlerweile bin ich fast sicher, einer der langsamsten Downhill-Läufer der Welt zu sein. Und es macht mir nicht mal was aus.

Der Fuldaer Höhenweg war trotz des schlechten Wetters und suboptimaler Aussicht eine echte Show. Allerdings wollten sich meine Füße irgendwie nicht mit dem Trail und den zu überquerenden Felsbrüchen anfreunden. Ich habe dort recht viel Zeit liegen gelassen und natürlich auch recht viele Bilder gemacht. Irgendwann schlängelte sich der Trail in Richtung des höchsten Punkts der Strecke, dem Taschach-Haus auf knapp 2.500 Metern Höhe. Da oben war es wirklich frisch. Es war neblig und es lag Schnee! Und die Strecke war teilweise ausgesetzt und mit Seilen versichert. Das ist normalerweise außerhalb meiner Komfortzone, aber ich fühlte mich hier keine Sekunde lang unsicher oder verspürte Angst. Das lag zum einen an der nicht vorhandenen Aussicht und zum anderen an Robert, von dem ich wusste, dass er dort oben Bilder machte.

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„Wir machen ’ne Wiese aus dem grauen Asphalt
Raus in den Sommer, es wird früh genug kalt.“

Es folgten knöcheltiefer Matsch, Bodenkontakt auf schneebedeckten Wiesen und unwegsames Gelände bevor ich endlich am nächsten VP ankam. Kurzer Blick auf die Uhr: 18 Kilometer in gut 4 Stunden. Ooooookay, das würde wohl eine längere Geschichte werden. Ich gönnte mir ein paar Gelshots und eine Dose Cola, machte seit langer Zeit mal wieder meinen iPod startklar und machte mich auf den Weg Richtung Tal. Blöderweise hatte ich jenen iPod vor einiger Zeit mal zweckentfremdet als meine Tochter wegen einer Lungenentzündung länger im Krankenhaus lag. Da ich bislang zu faul war, die ganze Playlist neu anzulegen, befindet sich darauf jetzt eine krude Mischung aus Hardcore, Punk und Kindermusik. Auf Ryker’s folgt Volker Rosin, nach Agnostic Front kommt Sendung mit der Maus. Laut Genfer Konventionen fällt sowas sicher unter Folter. Aber man bleibt aufmerksam. Jederzeit bereit, innerhalb von Millisekunden weiter zu skippen.

Doch zurück auf die Strecke: Der Weg zurück nach Mandarfen zog sich. Vor allem die letzten Kilometer über unspektakuläre Schotterwege im Tal. Immerhin konnte ich hier meinen schnellsten Kilometer laufen: 4:47 Minuten. Was zum Teufel habe ich mir dabei gedacht? Im Ziel angekommen ging es für mich nochmals hoch auf die Sunna-Alm. Sicherlich kein streckenplanerisches Highlight und der einzige Punkt auf meiner Meckerliste. Aber im Gegensatz zu den Downhillpassagen konnte ich hier wenigstens etwas Zeit gutmachen. Die drei Läufer, die ich zu Beginn des Anstiegs einsammelte, sah ich jedenfalls nicht wieder. Am Sunna-Alm-Haus freuten sich die Helfer am letzten VP über Kundschaft, dann ging es nochmals rund um den Rifflsee. Das Höhenprofil hatte ich so interpretiert, dass es dann nur noch bergab geht. Tat es aber nicht. „Wellig“ beschreibt die nächsten Kilometer ziemlich gut.

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Aber wie herrlich das war: Ein schulterbreiter, gut laufbarer Trail, der sich über grüne Wiesen zwischen Felsen hindurch über die allgegenwärtigen Sturzbäche schlängelte. Dazu diese durchziehenden Wolkenfetzen und keine Menschenseele in Sicht. Denn mal wieder hatte ich das Trailparadies komplett für mich alleine. Besser geht’s nicht. Als ich meiner Frau gestern die Bilder vom Zieleinlauf zeigt, war ihre Reaktion: „Da war aber nicht viel los, oder?“ Und da wurde mir klar, dass es natürlich schön ist, im Ziel eine tolle Stimmung zu haben. Aber auf der restlichen Strecke ist dies völlig irrelevant. Ein Lauf wie der PAGT braucht keine Zuschauer. Ich brauche keine Zuschauer. Kein Anfeuern, kein Klatschen, kein Jubeln. Das im wahrsten Sinne höchste der Gefühle ist es, da oben alleine rumzulaufen. Durch das Laufen in der Natur reduziert man sich so auf das Wesentliche, dass alles andere stören würde.

Und so war ich echt froh, dass ich erst auf dem Schotterweg, der leider auch doppelt zu laufen war, von anderen Läufern eingesammelt wurde. Aber als Entschädigung dafür sah ich zum ersten Mal in meinem Leben ein Murmeltier. Ein fairer Deal. Die Stimmung im Ziel würde ich wie oben nicht gerade als frenetisch bezeichnen, aber dafür gab es ein High-Five und Glückwünsche vom Rennleiter persönlich. Das gibt es auch nicht überall.

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Fazit:

Bisher der Lauf in meiner kurzen Trailrunner-„Karriere“, bei dem ich mir der Natur am nächsten fühlte. Das klingt jetzt furchtbar esoterisch, aber in der Tat war der Pitztal Alpine Glacier Trail durch die überschaubare Teilnehmerzahl und das alpine Gelände und den Schnee noch mehr Abenteuer als der UTLW oder der Supertrail. Wahrscheinlich kam mir die Schlechtwetterstrecke gerade recht, denn die Gletschervariante hatte mich dank etwas zu wenig Training und etwas zu viel Gewicht sicherlich hart an meine Grenzen gebracht. Aber auch so waren 43 Kilometer in knapp achteinhalb Stunden ein gutes Stück Arbeit. Mir ist völlig unverständlich, wie der Sieger Marcus Mingo das in 4:53h hinbekommen konnte. Und dass einige Läufer beim verkürzten P100 die doppelte Distanz bewältigt haben, übersteigt meine Vorstellungskraft.

Achja: Am Freitag morgen habe ich die Etiketten von den Gletscherkrallen entfernt und kann sie nicht zurückgeben. Als Wahlschwabe bedeutet das natürlich, dass ich nächstes Jahr mit ihnen über den Gletscher muss.

Wahrscheinlich unnötig zu erwähnen, aber bei meiner Abreise am Sonntag herrschte bestes Sommerwetter:

Zitate geklaut von Fiva, weil es einfach passt:

Alle, alle Bilder:

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