Ich denke, jeder Läufer hat „seinen“ Lauf. Der Termin, der als erster fix im neuen Kalender notiert ist. Die Veranstaltung, bei der man sich einfach wohl fühlt. Für mich war das irgendwie nie der Stuttgartlauf. Trotz Erreichbarkeit per Fahrrad und Einlauf im Stadion. Und trotz der Tatsache, dass ich schon zig mal mitgelaufen bin.
Dann schon eher der Nikolauslauf in Tübingen. Aber eigentlich ist mein Lauf der Hermannslauf. Und das, obwohl ich 2016 „erst“ zum fünften Mal dabei war.
Als ich noch in Ostwestfalen-Lippe (OWL) lebte, bin ich nicht gelaufen. Deshalb war der Hermannslauf für mich eine Veranstaltung, die mich nie großartig interessierte, die aber trotzdem jeder kannte. Kein Wunder: Schließlich gibt es den Lauf seit den frühen 70er Jahren und wenn ein paar Tausend Läufer durch den Teutoburger Wald schnaufen, herrscht Volksfest-Stimmung in OWL. Als mich dann Mitte der Nuller-Jahre die große Lauf-Euphorie packte, meldete ich mich nicht nur in Freiburg an, um meinen ersten Marathon zu laufen, sondern auch gleich beim Hermannslauf, der immer am letzten Sonntag im April stattfindet. Wer 42 Kilometer läuft, der sollte schließlich auch 31,1 locker schaffen. Um es kurz zu machen: Marathon-Debüt war erfolgreich, aber am nächsten Tag tat mein Fuß höllisch weh. Ich lief drei Wochen gar nicht und machte meinen ersten Lauf nach dem Marathon vom Hermannsdenkmal zur Sparrenburg. Bei bestem Wetter lief ich beschwerdefrei nach 3:12 ins Ziel – und war geflasht. Der Hermann und ich: Es war Liebe auf den ersten Blick. Kein Wunder also, dass wir auch 2016 die gut 1.000 Kilometer Autobahn für ein Wochenende in OWL gerne in Kauf nahmen. Die Kinder bekamen Opa-Zeit und ich ein weiteres Rendevouz mit Hermann.
Aus meiner Sicht gibt es mehrere Dinge, die den Lauf besonders machen. Zum einen ist da natürlich die Strecke durch den Teutoburger Wald mit ihrem welligen Profil und den unzähligen Untergründen: Waldboden, Forststraßen, Sennesand, Schotter, Kopfsteinpflaster, Asphalt, Treppenstufen sind im Angebot. Das nächste Alleinstellungsmerkmal ist die Logistik: Es gibt drei Hotspots. Das Gymnasium am Waldhof, in dem man seine Startunterlagen abholt und von dem aus die Busse starten (dazu später mehr). Das Hermannsdenkmal in der Nähe von Detmold, von dem aus gestartet wird. Und schließlich die Bielefelder Sparrenburg, an der sich das Ziel befindet.
Da Start und Ziel gut 30 Kilometer voneinander entfernt liegen, müssen über 7.000 Läufer am Sonntagmorgen also erstmal von Bielefeld zum Hermannsdenkmal gekarrt werden. Eine logistische Meisterleistung und ein echtes Schauspiel, wenn die Straße voller Läufer und Busse ist. Aber mit der Erfahrung aus 45 Jahren und den typisch deutschen Skills im Schlangestehen klappt es tatsächlich. Wenn man Glück hat, erwischt meinen der wenigen 5-Sterne-Cruiser. Aber in der Regel landet man in einem der zweckentfremdeten Linienbusse.
Und so saß ich in bester Gesellschaft in einem Bus zwischen Laufbuddy Claudi sowie Chris und Dominik, mit denen wir uns an der Schule getroffen hatten. Auch die die knapp 45 Minuten Fahrt zum Hermann sind immer ein Highlight. Es riecht nach Latschenkiefer, Bananen, Adrenalin und einem Hauch von Angst. Kein Wunder, denn unter den 7.100 Startern waren diesmal 3.000 Debütanten. Auch die Gespräche, die man aufschnappt, sind sehr amüsant. Egal, ob Veteranen sich zu erinnern versuchen, ob sie zum 27. oder 28. Mal mitlaufen oder Ersttäter akribisch ihr Rennen planen. Mein Highlight diesmal waren die Läufer hinter mir, die ihr Inventar sortierten. „Ich habe 5 Gels und 2 Riegel dabei“. Ich hätte mich fast an meiner Banane verschluckt, die meinen ganzen Proviant darstellte.
Die dritte Besonderheit des Hermannslaufs ist die Kleiderbeutel-Logistik. Man fährt mit seinem Kleiderbeutel zum Hermannsdenkmal und gibt ihn dort ab, damit er ins Ziel zur Sparrenburg transportiert wird. Offiziell ist der letzte Zeitpunkt für die Abgabe der Beutel 10:30. Der erste Start ist allerdings erst um 11 Uhr, die letzte Gruppe startet sogar erst 15 Minuten später. Das bedeutet, dass man mindestens 30 Minuten im Renn-Outfit rumsteht. Aufgrund der suboptimalen Wetterprognose hatte ich mir deshalb zum ersten Mal einen Wegwerfoberteil mitgenommen. Trotzdem war ich leicht geschockt, als nach dem Aussteigen aus dem Bus ein paar Schneeflocken auf uns herab rieselten.
Kurz vor 11 verabschiedeten wir uns von Chris und Dominik, die aus B bzw. C starteten und sortierten uns in Block A ein. Ich hatte mir dieses Privileg durch meine Zeit vom letzten Jahr erworben und Claudis Marathonzeit vom Bienwald (3:37) reichte locker, um sie am Samstag „hochstempeln“ zu lassen. Denn, und das ist Besonderheit 4: Beim Hermannslauf wird am Block-Eingang schärfer kontrolliert als an einer Clubtür am Samstag Abend. Das ist manchmal nervig, aber auf der schmalen Strecke ist es unerlässlich, dass sich jeder seinem Niveau entsprechend einsortiert.
Ich muss gestehen: Ich hatte mir Block A cooler vorgestellt. Und kleiner. Und schneller! Aber statt spindeldürrer, sehniger Überflieger standen da überwiegend ganz normale Menschen. So wie ich. Nur etwas schlanker. Völlig enttäuschend. Pünktlich um 11 Uhr ging es dann los. Nach ein paar Metern Richtung Denkmal biegt man in den Wald ab, um auf 3 Kilometer 150 negative Höhenmeter zu machen. Es ist traditionell zu voll und es geht mir traditionell zu langsam voran. Zu langsam? Achja, das Zeitziel.
Kurzer Einschub:
Nach meinen 3:12 im Jahr 2007 folgte eine Babypause bevor ich 2010 Claudi bei ihrem ersten Hermann – und damit der längsten Distanz, die sie je gelaufen war – begleitete. Das dauerte stattliche 3:46h. Nach der ersten Euphorie, es geschafft zu haben, war sie mit der Zeit nicht mehr so recht zufrieden und wir traten 2011 erneut an, um die 3:30 zu knacken. Ins Ziel kamen wir nach 3:05h. Funfact: Mit Forerunner 305 (links) und Gipsarm (rechts). Zum Glück war und bin ich Linkshänder.
Letztes Jahr lief ich mit Jens den Hermann und hatte mir das Ziel gesetzt, die 3h-Marke zu knacken, denn unter Hardlinern gilt ein Hermann nur als gelaufen, wenn man es unter drei Stunden geschafft hat. Alles andere ist „gewandert“. Ich startete letztes Jahr relativ planlos und wusste nicht mal, welche Pace ich für die Sub3 benötige. Die Konsequenz: Ich kam mit knapp 2:35 ins Ziel.
Deswegen hatte ich ganz entgegen meiner normalen Gewohnheiten für dieses Jahr ein ambitioniertes Ziel ausgegeben: 2:29. Allerdings wurde mir am Samstag auch bewusst, dass der Hermannslauf ein Ereignis ist, das ich genießen möchte und auf das ich mich nie gezielt vorbereitet habe. Auch in diesem Jahr ist der Hermann der Auftakt von immer länger und härter werdenden Wettbewerben, die ihren Höhepunkt dann im Juni im Zugspitz Supertrail finden. Egal, zurück auf die Strecke.
Die normalen schlanken Menschen liefen viel zu langsam bergab. Gefühlte 6:30 min/km. Ich bin alles andere als ein Downhill-Monster, aber ehe ich mich versah, lief ich, wann immer es ging, links auf der Überholspur leicht abseits der Strecke an so vielen Läufern wie möglich vorbei. Strava sagt: Der erste Kilometer dauerte 5:08 Minuten. Die nächsten beiden im Überholmodus dann 4:18 bzw. 4:26.
Den ersten „Berg“ bei Kilometer 7 hatte ich etwas kürzer in Erinnerung, aber ich kam trotzdem gut drüber: Ehberg in 5:40 und 6:01 sagt Strava. Überhaupt merkte ich, dass sich mein aktuelles Training mit vielen Höhenmetern auszahlt. Bergauf und bergab war ich deutlich zügiger unterwegs als das Gros der Läufer; auf der Ebene war ich etwas langsamer. Aber zum Glück gibt es beim Hermannslauf kaum ebene Abschnitte.
Auf jeden Fall war ich gut unterwegs. Und es war so wie es sein sollte: Die Kilometer flogen dahin. Auf der Panzerbrücke kurz vor Kilometer 10 kurzes Meet & Greet mit der Family, dann bei Kilometer 15 der steilste Anstieg in Person des Tönsbergs. Und murmelte ich seinen Namen vor ein paar Jahren noch in Ehrfurcht, schnaufte ich ihn diesmal in einer 5:30er Pace hoch – vorbei an dem überwiegend gehenden Feld. Bergtraining, ich liebe dich!
Nach dem Tönsberg geht es runter nach Oerlinghausen. Wieder drei Kilometer mit gut 120 negativen Höhenmetern auf Asphalt und Kopfsteinpflaster. Da kann man richtig Gas geben. Es sei denn, man steckt auf einmal mitten in einem Schneesturm! Es war unfassbar. Oerlinghausen ist der einzige Ort, durch den der Hermannslauf führt. Die Stimmung dort bewegt sich deshalb irgendwo zwischen Alpe d‘ Huez und Oktoberfest. Noch spektakulärer ist es allerdings, wenn man Ende April im Schneetreiben durch das enge Spalier der Zuschauer läuft, denen das Wetter anscheinend ähnlich egal war wie uns Läufern.
Allerdings merkte ich auch relativ schnell, dass ich die Messlatte letztes Jahr unerwartet hoch gelegt hatte. Denn die Hoffnung, eine Zeit unter 2:30 locker aus dem Fuß schütteln zu können, hatte nicht allzu lang Bestand. Ehrlicherweise hatte ich auch schon die Hoffnung aufgegeben, meine Zeit von 2015 zu knacken. Doch ca. vier Kilometer vor dem Ziel sah ich auf meiner Uhr die Durchschnitts-Pace von 5:05 km/min. Und ich wusste, dass es letztes Jahr am Ende 5:04 km/min. waren. Also beschwor ich nochmal meinen inneren Hermann: 4:52, 4:36, 4:43 und 4:33 brauchte ich für die letzten vier, abschüssigen Kilometer und kam nach offiziellen 2:33:43 ins Ziel – und damit eine Minute und 9 Sekunden schneller als im vergangenen Jahr. Bei Kilometer 30 wurden wir nochmals von einem Hagel-/Schneeschauer überrascht und ich habe mich extra beeilt, um ein Unwetter-Zielfoto zu bekommen. Aber als ich an der Sparrenburg ankam, schien schon wieder die Sonne – verdammt!
Die sub 2:30 habe ich damit deutlich verpasst. Aber eine PB gesetzt und mit Platz 614 bei 7.100 Startern gehöre ich zu den Top 10% des Feldes, was mich ziemlich glücklich macht. Vielleicht klappt es ja nächstes Jahr mit der 2:29. Ich werde auf jeden Fall versuchen, wieder dabei zu sein und kann nur jedem empfehlen, den Hermannslauf zu erleben. Die Strecke ist nicht zu kurz und nicht zu lang. Es gibt wenig Asphalt, aber auch keine echten Trails. Das Profil ist wellig, aber komplett laufbar. Ach, es ist einfach perfekt! Die Anmeldung für 2017 startet Anfang Januar. Allerdings muss man sich den Wecker stellen: Die 7.000 Startplätze waren in weniger als vier Stunden weg.
Fazit:
Ein perfekter Auftakt in die Wettkampfsaison 2016. Bestzeit geknackt, Chris und Dominik kennen gelernt und eine Menge Selbstvertrauen für die kommenden Aufgaben gewonnen. Next Stop: Trailmarathon Lichtenstein. 43 km, 2.000 hm.
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